Autonome Lkw: Auf dem Sprung zu Level 4 

Wie weit ist das autonome Fahren auf öffentlichen Straßen?

Autor: Andre Kranke

I Lesezeit: 6 Minuten

24/03/2025

Weltweit arbeiten Wissenschaftler und Ingenieure am nächsten großen Meilenstein in der langen Geschichte des Transportwesens: das autonome Fahren auf öffentlichen Straßen. 

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Steuert seit der Erfindung des Rades vor rund 5000 Jahren ein Kutscher bzw. seit rund 100 Jahren ein menschlicher Kraftwagenfahrer das Transportfahrzeug, so sollen in Zukunft auch so genannte „virtuelle Fahrer“ zum Einsatz kommen.  

In den vergangenen Jahren haben Forschende auf Basis von künstlicher Intelligenz speziell entwickelte Algorithmen trainiert, die mittlerweile in der Lage sind, ein Auto sicher durch den öffentlichen Verkehr zu steuern. Gefüttert werden die Algorithmen mit unterschiedlichsten Sensordaten. Dazu werden moderne Standardfahrzeuge mit zusätzlichen Sensoren wie Lidar, Radar, Kameras und Mikrofonen ausgestattet, die umfangreiche Informationen zum Verkehrsgeschehen liefern. Basierend auf diesen Daten und den erlernten Verhaltensweisen im Verkehr trifft der „virtuelle Fahrer“ autonom – also ohne weitere menschliche Unterstützung – seine Entscheidungen für das Führen des Fahrzeugs auf der Straße. Die besten KI-Algorithmen haben mittlerweile ein Sicherheitsniveau erreicht, das statistisch über dem einer durchschnittlichen menschlichen Vergleichsgruppe liegt.  

Die besten KI-Algorithmen haben mittlerweile ein Sicherheitsniveau erreicht, das statistisch über dem einer durchschnittlichen menschlichen Vergleichsgruppe liegt.  
Andre Kranke, Head of Corporate Research and Development bei DACHSER

Verschiedene Level 

Aufbauend auf diesen Ergebnissen konnte im vergangenen Jahr in den USA ein wichtiger Schritt beim autonomen Fahren in die Praxis umgesetzt werden: Seit Juli 2024 kann jeder der will in San Francisco ein selbstfahrendes Taxi nutzen. Ein frei buchbarer Transport von A nach B ohne menschlichen Fahrer in einem größeren öffentlichen Raum ist damit erstmals in der Geschichte des Transportes Wirklichkeit geworden.  

Bisher sind bei serienmäßig produzierten Fahrzeugen nur Assistenzsysteme im Einsatz, die ein autonomes Fahren im Level 3 erlauben. Dies bedeutet, dass man im Pkw die Hand vom Lenkrad nehmen darf, um kurzzeitig andere Dinge zu erledigen. Der Fahrer muss jedoch jederzeit in der Lage sein, die Kontrolle über das Fahrzeug wieder übernehmen zu können. 

Die Einteilung in verschiedene Levels hilft, den Automatisierungsgrad eines Fahrzeuges anzuzeigen. Die Skala reicht von 0 bis 5. Bei Level 0 ist der menschliche Fahrer ohne jegliche Unterstützung unterwegs, Level 1 und 2 setzt auf Assistenzsysteme und Teilautomatisierung, wie adaptive Geschwindigkeitsregelung mit Spurhalteassistent. Level 5 ist komplett vollautonom, ohne Fahrer, unterwegs.  

Taxis als Vorreiter 

Die Robot-Taxis der Google-Tochter Waymo in San Francisco haben nun Level 4 des autonomen Fahrens erreicht. In einem definierten Gebiet kommt das Fahrzeug komplett ohne menschlichen Fahrer aus. Sollte eine Situation eintreten, bei dem der virtuelle Fahrer nicht mehr weiterweiß, dann steuert dieser eine sichere Parkposition an und ein menschlicher Tele-Operator unterstützt den virtuellen Piloten aus der Ferne. 

Die rund 250 Waymo-Taxis operieren nach einer längeren Testphase seit Sommer vergangenen Jahres im gesamten Stadtgebiet von San Francisco als frei buchbarer Service. Einfach per App bestellen, einsteigen und der virtuelle Fahrer im vollelektrischen Jaguar befördert den Fahrgast bequem und sicher zum Ziel. Aktuell wird das Angebot schrittweise auf weitere US-Städte ausgeweitet. Waymo hat mit diesem kommerziellen Echtbetrieb bewiesen, dass virtuelle autonome Fahrzeuge künftig zur Realität des Transportwesens gehören werden. 

Autonomer Lkw in Entwicklung 

Auch am virtuellen Lkw-Fahrer wird in den USA von Startups wie Kodiak oder der Daimler-Tochter Torc Robotics gearbeitet. Bereits in den kommenden zwei Jahren sollen Sattelzüge völlig autonom und ohne Sicherheitsfahrer auf ersten Highway-Strecken in Texas verkehren. Im Fokus stehen „Hub to Hub Verkehre“ zwischen zwei Logistikzentren nahe der Autobahn. Die Anbieter sind überzeugt, die technologischen Herausforderungen für ein echtes Level-4-Fahren mit dem Lkw bis dahin gelöst zu haben.  

Ist das realistisch? Ja, für einzelne Highway-Verkehre unter definierten Bedingungen grundsätzlich schon, das bestätigte sich auch bei Besuchen von DACHSER Corporate Research & Development vor Ort in den USA. Aber besondere Situationen wie schwierige Wetterbedingungen mit zum Beispiel starkem Schneefall können derzeit noch nicht praxistauglich vom virtuellen Fahrer autonomen Fahrzeugen bewältigt werden.  

Große Investitionen 

Größter Hemmschuh für eine rasche Umsetzung des autonomen Fahrens sind aber die gewaltigen Anfangsinvestitionen für das zeitintensive Anlernen der künstlichen Intelligenz. Selbst für einzelne Autobahn-Strecken sind sehr viele Trainings-Fahrkilometer zu absolvieren, so dass die Etablierung einer größeren Anzahl von praxistauglichen virtuellen Lkw-Level-4-Fahrern für unterschiedlichste US-Highways wohl noch ein ganzes Jahrzehnt dauern wird. Die Attraktivität für Investitionen in diese Technologie und damit auch die Geschwindigkeit der Weiterentwicklung im US-Straßengüterverkehr hängt vor allem von zwei Treibern ab: dem zunehmenden Fahrermangel sowie den bereits relativ hohen und weiter steigenden Lohnkosten.  

Gebremst werden könnte die Entwicklung in den USA wiederum durch nicht zu hundert Prozent vermeidbare Unfallereignisse mit autonomen Fahrzeugen und daraus folgende politische und rechtliche Reaktionen auf Bundesebene oder in den einzelnen Bundesstaaten. 

Weltweite Forschung 

Auch in Asien, vor allem in China, werden autonome Pkw, Busse und Lkw entwickelt und erprobt. Führend scheinen hier Unternehmen wie Baidu, BYD oder Pony.ai zu sein. Aber auch Mercedes-Benz testet nach eigenen Angaben das Level-4-Fahren von Pkw in Peking. Verlässliche Informationen zu den Aktivitäten in Asien der unterschiedlichen Anbieter mit Details zu den erzielten Ergebnissen und erreichten Sicherheitsstandards fehlen aber.  

In Europa finden sich derzeit nur vereinzelte Aktivitäten zum autonomen Fahren. Von einem größeren Einsatz von selbstfahrenden Pkw oder Lkw im Level 4 sind die Anbieter noch deutlich entfernt. Hier fehlen vor allem Investoren für das aufwendige Training der KI-Modelle. Der zunehmende Fahrermangel wird früher oder später aber auch hierzulande den Einsatz dieser Technologie notwendig machen, um die Leistungsfähigkeit der Logistik für den Wirtschaftsstandort Europa auch in Zukunft gewährleisten zu können. Offen ist die Frage, ob Europa dann auf Lösungen aus den USA oder Asien zurückgreifen muss, oder ob europäische Unternehmen das Angebot selbstfahrender Lkw mitbestimmen werden. 

Größter Hemmschuh für eine rasche Umsetzung des autonomen Fahrens sind die gewaltigen Anfangsinvestitionen für das zeitintensive Anlernen der künstlichen Intelligenz.
Andre Kranke, Head of Corporate Research and Development bei DACHSER

Einsatz in der Logistikbranche 

Bei aller Begeisterung für Zukunftstechnologien ist aber auch festzuhalten: Virtuelle Fahrer sind kein vollständiger Ersatz für ihre menschlichen Kollegen. Nur auf ausgewählten Hub-Hub-Fernverkehren könnten KI-Modelle frühestens in einem Jahrzehnt auch in Europa in der Lage sein, die anspruchsvolle Arbeit eines Lkw-Fahrers zu übernehmen. Aber in vielen Fern- und Nahverkehren übersteigen die vielfältigen Aufgaben die Fähigkeiten des KI-Piloten. Dazu gehören neben dem Beherrschen des Fahrzeugs in komplexen Verkehrssituationen auch Tätigkeiten wie die Sicherung der Ladung, das Entladen und Zustellen der Ware oder nicht zuletzt der persönliche Kontakt zum Versender und Empfänger des Transportguts. Dies kann von einem KI-Algorithmus auf absehbare Zeit nicht übernommen werden. Deshalb wird auch hier der Mensch  auch weiterhin eine entscheidende Rolle für die Leistungsfähigkeit der Logistik einnehmen, ergänzt aber um virtuelle Kollegen, die helfen, die drastischen Folgen des demografisch bedingten Fachkräfte- und Fahrermangels zu mildern. 

Andre Kranke

Head of Corporate Research & Development bei DACHSER

Andre Kranke, Head of Research u0026 Development bei Dachser

Andre Kranke

Head of Corporate Research & Development bei DACHSER

Andre Kranke, Head of Research u0026 Development bei Dachser

Andre Kranke

Head of Research & Development bei DACHSER

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