Logistische Netzwerke dynamisch anpassen

Wie Logistiker in der Chemiebranche trotz vieler Herausforderungen im internationalen Wettbewerb erfolgreich sein können.

Autor: Carina Jungchen-Wenzlick I Lesezeit: 7 Minuten | Aufmacherbild: AMatveev/Shutterstock.com

19/02/2025

Die Liste an Herausforderungen für die deutsche Chemieindustrie ist lang. Unweigerlich mit davon betroffen ist auch die Chemielogistik. Im Fachmagazin CHEManager 10/2024 wurde die von DACHSER Chem Logistics unterstützte Studie „Chemielogistik in Bewegung“ von Christian Kille, Professor für Handelslogistik und Operations Management an der Hochschule Würzburg-Schweinfurt (THWS), und Andreas Backhaus, freier Dozent, vorgestellt. Die Studie analysiert Herausforderungen und Chancen für die Chemielogistik in Deutschland. Birgit Megges vom CHEManager befragte dazu Studien-Autor Christian Kille sowie Michael Kriegel, Department Head DACHSER Chem Logistics.

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Birgit Megges: Herr Kille, Ihre Handlungsempfehlungen zur Gestaltung der Chemielogistik geben keine konkreten Lösungsvorschläge. Wie sind diese Empfehlungen für Unternehmen zu verstehen?

Christian Kille: Die Chemieindustrie ist so heterogen, dass es für die breite Zielgruppe keinen Sinn macht, sehr konkrete Handlungsoptionen zu geben. Dafür sind zu viele Dimensionen zu berücksichtigen: Größe des Unternehmens, Wertschöpfungsstufe, Art der Güter beziehungsweise Produkte, Organisation der Logistik, internationale Vernetzung et cetera. Aus diesem Grund möchten wir mit den Handlungsempfehlungen vielmehr eine Struktur geben, auf deren Grundlage jedes Unternehmen selbst konkrete Ansätze erarbeiten kann.

Die Umsetzung der Empfehlungen in die Praxis muss jeder individuell anpassen. Dennoch möchte ich ein paar der Handlungsempfehlungen hinterfragen. Wie könnten zum Beispiel Chemieunternehmen und Logistiker gemeinsam daran arbeiten, die Herausforderungen des Fachkräftemangels zu bewältigen?

C. Kille: Nun gehen wir etwas mehr ins Detail, deshalb ein Beispiel: In der gesamten Logistikkette ist die Kapazitätsabstimmung ausbaubar, um es vorsichtig auszudrücken. So wie wir in einer anderen Studie herausgefunden haben, kann die Kapazität von Fachkräften enorm gesteigert werden, wenn sich Produktion und Vertrieb des Versenders mit dem Logistikdienstleister sowie mit der Beschaffung und Produktion des Kunden besser abstimmen. So würde weniger Fahrpersonal benötigt werden.

Welche Anpassungen der logistischen Netzwerke und Angebote halten Sie für absolut notwendig, um den Veränderungen im Chemiemarkt gerecht zu werden?

C. Kille: Logistik ist kundenorientiert – zumindest sollte das die Ausrichtung sein. Somit liegt es an ihr, das Angebot so zu gestalten, dass sie Chemieunternehmen bei der Transformation unterstützt und nicht behindert. Entsprechend sollten die logistischen Netzwerke dynamisch angepasst werden, wenn sich die Anforderungen der Chemieindustrie verändern. Genau das war auch das Ziel unserer Studie: verschiedene Entwicklungen aufzuzeigen, um die logistischen Strukturen entsprechend anpassen zu können.

Die Handlungsempfehlungen der Studie in der Übersicht.

Wie können Automatisierung und Digitalisierung in der Logistik die Resilienz und Leistungsfähigkeit der Chemiebranche steigern?

C. Kille: Auch hier sind die Möglichkeiten mannigfaltig. Der größte Hebel liegt aus meiner Sicht im Informationsfluss: Einerseits können zahlreiche administrative Prozesse automatisiert und damit die Leistungsfähigkeit gesteigert werden. Das Handling mit Papier oder auch nur die Notwendigkeit einer Person für manche Prozesse, kann in vielen Bereichen vermieden werden – egal ob in der Kundenkommunikation, der Disposition oder der Rechnungsbearbeitung.

Andererseits unterstützt die Transparenz in der Lieferkette dabei, Kapazitäten besser auszulasten und auf ungeplante Veränderungen reagieren zu können und damit resilienter zu werden. Eine lückenlose Transparenz mit einer Strategie, die im Ernstfall zur richtigen Zeit greift, ist für ein professionelles Risk Management absolut notwendig.

Herr Kriegel, welchen Nutzen können Sie aus Sicht der Praxis aus den gegebenen Handlungsempfehlungen ziehen?

Michael Kriegel: DACHSER hat sich ein Zielbild für das Jahr 2030 gesetzt, an dessen Erreichung alle Mitarbeitenden gemeinsam arbeiten. Den Weg zum Ziel gehen wir mit sieben Strategien, die sich unseren Geschäftsfeldern Road Logistics und Air & Sea Logistics sowie deren enger Verzahnung widmen. Dazu kommen übergreifende Entwicklungsthemen wie Digitalisierung, Klimaschutz und unsere Personalstrategie, die den Menschen in den Mittelpunkt des Logistikgeschäftes stellt. Schließlich spielt auch unser weltweites Ideen- und Innovationsmanagement eine wichtige Rolle. Es freut mich, dass sich diese Strategien in den Handlungsempfehlungen der Studie widerspiegeln. Das zeigt uns, dass DACHSER auf dem richtigen Weg ist und sich trotz der Herausforderungen im internationalen Wettbewerb erfolgreich aufstellen kann.

Gibt es bei Dachser konkrete Beispiele zu einer erfolgreichen Umsetzung der in der Studie empfohlenen Strategien?

M. Kriegel: Ein Beispiel für die erfolgreiche Umsetzung der Digitalisierungsstrategie ist sicherlich unser digitaler Zwilling ‚@ILO‘, für den DACHSER im Herbst 2023 zusammen mit dem Fraunhofer IML den Deutschen Logistik-Preis der BVL, also der Bundesvereinigung Logistik, erhielt. Mit @ILO wurde erstmals ein zukunftsweisendes digitales Abbild aller Packstücke, Assets und Abläufe in der Umschlaghalle geschaffen – ein Paradigmenwechsel in der Organisation der Stückgutlogistik, der mittlerweile europaweit ausgerollt wird.

Auch beim Thema Nachhaltigkeit ist DACHSER Impulsgeber für die Logistikbranche. Mit diesem Marathon sind wir bereits 2018 gestartet. Unser Ziel ist es, Erfahrungen mit Zero-Emissionstechnologien und speziell mit batterieelektrischen Lkw zu sammeln und sie in den Realbetrieb zu bringen. Im Rahmen des Konzepts ‚DACHSER Emission Free-Delivery‘ beliefern wir mittlerweile fest definierte Innenstadtgebiete in 16 europäischen Metropolen mit vollelektrischen Lkw und Pedelecs. Bis Ende 2025 werden es 25 sein. Des Weiteren lernen wir an drei sogenannten E-Mobility-Standorten in Deutschland den Umgang mit emissionsfreien Lkw für den Fernverkehr sowie entwickeln die entsprechend notwendige Ladeinfrastruktur dafür. Gerade wurde der 100. vollelektrische Lkw von uns in Betrieb genommen.

Genau das war auch das Ziel unserer Studie: verschiedene Entwicklungen aufzuzeigen, um die logistischen Strukturen entsprechend anpassen zu können.
Christian Kille, Professor für Handelslogistik und Operations Management an der Hochschule Würzburg-Schweinfurt (THWS)
M. Kriegel mit den Autoren der Studie „Chemielogistik in Bewegung – Szenarien und Ausblick für Deutschland“ C. Kille und A. Backhaus (v.l.n.r.)

Welche angesprochenen Szenarien bergen Ihrer Erfahrung nach für Logistiker die größten Herausforderungen?

M. Kriegel: KI ist vor allem in der Logistik eine große Chance, aber in gleichen Stücken auch eine Herausforderung, die es zu meistern gilt. Den ersten Schritt hat DACHSER getan, die weiteren werden folgen. Lassen Sie mich dazu ein Beispiel aus der Praxis geben: Planbarkeit ist in der Logistik ein entscheidendes Kriterium für Effizienz und Qualität. KI kann hier einen wertvollen Beitrag leisten, wie das erste Machine-Learning-Projekt ‚Predictive Analytics DACHSER‘ – oder kurz ‚PAnDA One‘ – zeigt. Das Modell wurde speziell zur Prognose der Eingangsmengen einer Landverkehrs-Niederlassung konzipiert und stellt eine taktische Entscheidungsunterstützung für die saisonale Kapazitätsplanung bereit. So lassen sich frühzeitig entsprechende Laderaumkapazitäten auf dem Markt sichern und Eingangsmengen im Umschlaglager bis zu 25 Wochen im Voraus planen.

Die Technik unterstützt den Menschen in seinen Entscheidungen, aber sie sollte mit Bedacht und Verstand eingesetzt werden. Denn KI arbeitet immer mit Wahrscheinlichkeiten, die in einem bestimmten Korridor auch fehlerhaft sein kann. Aus diesem Grund muss Technologie den Menschen unterstützen, sie darf das eigenständige, kreative Denken aber nicht ersetzen. Das haben wir bei allen Digitalisierungsprojekten stets im Blick.

Im Profil

Christian Kille ist seit April 2011 Professor für Handelslogistik und Operations Management an der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt und aktuell Leiter des Bachelorstudiengangs Betriebswirtschaft. Kille ist Gastdozent an der TU München für Vorlesungen in Singapur, Marktanalyst der Bundesvereinigung Logistik, Mitglied in der Jury der „Logistik Hall of Fame“ und des „Logix Deutscher Logistikimmobilien Award“. 2014 gründete er zusammen mit Markus Meißner die Initiative „Prognose für die Entwicklung der Logistik in Deutschland – Logistikweisen“.

Michael Kriegel blickt auf nahezu 30 Jahre Berufserfahrung in der Logistikbranche zurück. Er absolvierte 1995 ein duales Studium bei DACHSER in Hannover und betreut zentral seit 2003 Unternehmen der chemischen Industrie. Seit 2007 verantwortet Kriegel die Branchenlösung DACHSER Chem Logistics. Ziel der Einheit ist es, globale Logistiklösungen für die chemische Industrie voranzutreiben.

Carina Jungchen-Wenzlick

Redaktion DACHSER magazin

Carina Jungchen-Wenzlick

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